Re: Professionelle EBV mit Gamma 2,2
by Markus Hitzler, Color Solutions
Hallo Dietmar, hallo Liste,
Am 23.09.2003 12:00 Uhr schrieb "eci-request(a)lists.transmedia.de" unter
<eci-request(a)lists.transmedia.de>:
> Hallo Markus, hallo Liste,
>>
>> Tonwertabrisse, Farbabweichungen,... wirken auf das menschliche Auge
>> besonders störend in den Mitteltönen und Lichtern, also der oberen
>> "Hälfte" des Farbraumes. Fehler in dunklen und stark gesättigten Bereichen
>> hingegen fallen visuell weniger auf.
>> Reduziert man die Betrachtung auf die Grauachse, heißt das:
>> ausgefressene Lichter und Stufen in den Mitteltönen stören den
>> durchschnittlichen Betrachter mehr als zugelaufene Schatten.
>>
>> ...
>
> Woher hast Du diese Einschätzung? L* ist darauf ausgelegt, visuell
> gleichabständig zu sein (mag nicht perfekt sein, aber annähernd
> stimmen). In L* gibt es nichts mit feineren Unterschieden in Lichtern.
> Deshalb Teile ich Deine Auffassung leider überhaupt nicht und sie
> widerspricht auch den Erfahrungen mit L*.
>
> Gruß Dietmar
Hier liegt anscheinend ein Missverständnis vor.
Selbstverständlich ist CIELAB in der Grauachse gleichabständig!
Sonst würden weder farbmetrisch erzeugte Hintergrundtestbilder noch die
farbmetrisch lineare Monitorkalibrierung so gut funktionieren wie sie's tun.
Abweichungen von der Gleichabständigkeit gibt's hauptsächlich zwischen der
Grauachse und bunten Bereichen, was von diversen Delta-E-Formeln
berücksichtigt wird. Die Gleichabständigkeit/Linearität der L*-/Grauachse
selbst stimmt sehr gut. Das zweifelt keiner an. Selbstverständlich "gibt es
in L* nichts mit feineren Unterschieden in Lichtern", wenn man die
Koordinaten in konstanten Delta-L*-Stufen anlegt (siehe lineare
Monitorkalibrierung). Nur - wer zwingt uns dazu, wenn etwas anderes
vorteilhafter ist? Zudem kann ein Gamma-basierter Farbraum niemals
farbmetrisch gleichabständig sein - egal welches Gamma man wählt. Es geht
darum, bildrelevante Information erst mal möglichst genau und effizient zu
speichern.
In der Praxis fotografieren wir recht selten gleichabständige Stufenkeile -
abgesehen mal von Testlaboren. Die Auswirkung farbmetrisch (d,h. im L*-Wert
und damit empfindungsgemäß) gleicher Fehler (z.B. Stufenbildung) in
verschiedenen Tonwertbereichen auf das fotografische Bild ist sehr stark von
BETROFFENEN BILDMOTIV sowie dem Geschmack, den Betrachtungsbedingungen und
der "SEHERFAHRUNG" des Betrachters abhängig.
Mein besonderes Interesse an Mittelton- und Lichterzeichnung resultiert aus
meiner bisherigen Berufserfahrung im Portrait- und Werbestudio, sowie am
Trommelscanner. Gespräche mit Kunden, Kollegen, Kommilitonen,... haben
bisher ergeben, dass Zeichnungsfehler in den Mitteltönen und Lichtern bei
den meisten Motiven kritischer beurteilt werden und schneller zu
Reklamationen führen als gleich große Fehler in den Schatten. Das liegt
unter anderem auch daran, dass Fehler in diesen Bereichen sehr häufig das
gut ausgeleuchtete Hauptmotiv treffen, während Fehler in den Schatten bei
vielen Aufnahmen eher im weniger beleuchteten Hintergrund auftreten. Dies
korreliert auch mit der ururalten Fotografenfaustformel, dass man ein Dia
bei zu hohem Objektkontrast bei den meisten Motiven eher unterbelichten
sollte, damit die Lichter- und Mitteltonzeichung erhalten bleibt.
Zeichnungsfehler in Mittel- und Viertelton treffen häufig besonders kritisch
bewertete Bildelemente wie z.B. die Haut. Ein Portrait mit geringsten Stufen
im Gesicht z.B. ist meist absolut unverkäuflich. Farbmetrisch gleich große
Stufen im dunklen Anzug/Kleid werden vom Kunden eher akzeptiert (wenn auch
oft nur zähneknirschend). Bei der typischen Hochzeitsaufnahme wird der
zugelaufene dunkle Anzug eher akzeptiert als das ausgefressene weiße
Brautkleid. Die Verhältnisse in der Werbefotografie sind ähnlich: Beim
typischen silbernen Auto sind Stufenbildung in der Karosserie und
ausgefressene Lichter schlimmer als Zeichnungsverluste in den Rädern und
Radkästen. Die Kunden hier sind meist nur wesentlich kritischer.
Eine Bestätigung dieser Praxis zeigen ferner die Bilder in diversen
Zeitschriften und Magazinen. Zugelaufene Tiefen sieht man hier deutlich
häufiger als ausgefressene Lichter oder gar Stufen in den Mitteltönen. Die
Akzeptanz des Endkunden für Bildfehler scheint in dunklen Bereichen also
größer zu sein. Grund kann die bei der Betrachtung häufig geringe
Beleuchtungsstärke (wer liest seinen Spiegel/Stern/Focus... schon an der
prallen Sonne? - bei wenig Licht sind Stufen in dunklen Bereichen schlechter
zu sehen) oder schlicht und einfach Gewöhnung sein.
Vergleichen wir die Koordinatendichte bei Gamma 1,8 und 2,2 nochmals
genauer, zeigt sich folgendes Bild:
L*=0 bis L*=5:
2,2 hat sehr hohe Koordinatendichte ist aber stark nichtlinear,
1,8 ist deutlich linearer und verschwendet weniger Stufen
L*=5 bis L*=25:
2,2 erzeugt höhere Koordinatendichte
L*=25 bis L*=50:
Beide Gammas liefern fast identische Koordinatendichte
L*=50 bis L*=100:
1,8 erzeugt höhere Koordinatendichte
Damit erzeugt Gamma 1,8 in 80% !!!! der (selbstverständlich
gleichabständigen) L*-Achse eine bessere oder zumindest gleich gute
Informationsdichte wie Gamma 2,2. Dies umfasst den Helligkeitsbereich von
L*=25 bis L*=100, in dem sich bei der durchschnittlichen Aufnahme (und um
die und nichts anderes geht es bei einem "Standard-Speicherfarbraum", die
Low-Key-Aufnahme der schwarzen Stereoanlage ist wohl eher die Ausnahme) die
meisten bildwichtigen Motivelemente befinden.
Eine möglichst genaue Anpassung der RGB-Kurve an die L*-Kurve in diesem
Bereich ist nur dann nötig, wenn ohne Farbmanagement gearbeitet werden muss.
Damit ist Gamma 2,2 für Consumer- und Officeanwendungen genau das Richtige.
Die Nachteile eines zu hohen Gammas fallen bei dem Qualitätsanspruch dieser
Anwendungen nicht ins Gewicht.
Ein Gamma von 1,8 erfordert zur richtigen Umsetzung natürlich den Einsatz
von Farbmanagement (damit wird die Wiedergabe visuell linear). Der Lohn ist
- neben den übrigen Vorteilen kalibrierter und profilierter Systeme - die
effizientere Nutzung der heute noch üblichen 8-bit.
Viele Grüße,
Markus
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